Bevor ich die Biografie meiner ersten Kundin schrieb, hatte diese bereits Stichworte zu ihrer Geschichte gesammelt, die sich ausschließlich auf Ereignisse bezogen, nicht aber darauf, was sie gefühlt oder gedacht hatte oder wie es ihr mit dem Erlebten ging. Auch wollte sie alles Traurige am liebsten aussparen. Niederlagen, Zweifel, Zerrissenheit – schichtweg alles, worüber wir im Allgemeinen nicht gerne sprechen – kamen in ihren Erzählungen nicht vor. Ich merkte, dass sie tiefer gehenden Fragen auswich und mir nur von schönen Ereignissen erzählen wollte.
So wurde ihre Geschichte eine Aneinanderreihung von Fakten, aber nicht wirklich eine Geschichte über sie als Person. Das fand ich sehr schade, denn Kinder und Enkel möchten wissen, was für Menschen ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern waren, wie sie schwierigen Zeiten, z. B. Kriege, überstanden haben. Im Fall dieser Dame etwa, was in ihr vorging, als sie mit einem britischen Besatzungsoffizier verhandelte, um ihre Wohnung behalten zu können. Die Nachkommen interessieren sich für Ängste, Gedanken und Gefühle, dafür, wie Konflikte gelöst wurden. Doch viele Menschen möchten darauf nicht eingehen oder haben große Schwierigkeiten damit.
Mir wurde klar, wie wichtig es ist, seinen Nachkommen zu erzählen, wie man etwas erlebt hat, was dabei in einem vorging. Nur so können sie einen im Nachhinein verstehen und aus den eignen Erfahrungen lernen. Aufgrund dieser Erkenntnis entwickelte ich einen Fragebogen, der genau auf diese Art von Fragen eingeht. Mir wurde auch bewusst, wie wichtig es ist, Vertrauen und Verbindung aufzubauen und in die jeweilige Lage der Kunden „hinein zu krauchen“.
Ein paar Monate später konnte ich auf diese Weise mit einer anderen Kundin eine so tiefe Verbindung aufbauen, dass sie mir mit Tränen in den Augen ihre noch immer tiefe Trauer über den Tod ihrer Tochter schilderte. Ihre Gefühle wurden für mich greifbar und fanden Eingang in ihre Geschichte, ebenso wie die Scheidung von ihrem Mann und die damit verbundenen Emotionen. Ein Kunde, der Polizist war, scheute sich nicht, mir zu erzählen, dass sein Sohn Alkoholiker war, und wie es ihm als Vater und Polizisten damit ging. Das sind aufrichtige und ehrliche Geschichten, die Herzen berühren, bei denen die Lesenden weder gähnen, noch abwinken oder genervt sind, sondern mehr erfahren wollen und lernen können, wie man aus Tiefs auch wieder herausfindet. Auch die glücklichen Momente und Erfolge gewinnen so an Gewicht und Glanz. Die Biografie wird zu einer echten Lebensgeschichte mit allen Höhen und Tiefen.
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