Warum auch tragische Ereignisse in die Biografie gehören

Ich sitze mit meinen fünf Geschwistern und meiner Mutter am Abendbrottisch. Es ist der 29. Oktober 1962,  und ich bin elf Jahre alt. Meine Mutter schaut gerade in den Schrank, ob sie darin noch mehr zu essen findet, denn wir sind sehr hungrig. Plötzlich hält sie inne. „Seid mal alle ganz still Kinder, gaaanz still .“

Gebannt lauschen wir der Radiostimme, ich höre nur ‚Kuba‘. Dann aber blicke ich in die erschrockenen, angsterfüllten Gesichter meiner älteren Geschwister. Mein Bruder sagt: „Mutti, lass uns doch alles aufessen, denn im Krieg bleibt ja eh nichts übrig.“

Als ich das Wort ‚Krieg‘ höre, beginne ich zu zittern.

Im darauffolgenden Jahr 1963 überschlagen sich die Ereignisse, die im krassen Gegensatz zu meinem geborgenen Zuhause stehen, und  lösen in mir eine Angst vor der Zukunft, gekoppelt mit Hoffnung,  aus.  Als ich im Juni 1963 mein Klassenzimmer betrete, stehen da meine Freundinnen mit traurigen Gesichtern herum, und ich höre von der Ermordung Kennedys. Wir weinen und trauern gemeinsam. Obwohl wir kaum etwas von Politik verstehen, betrachten wir J. F. Kennedy  als einen sehr sympathischen Menschen, der unsere Herzen erobert hat und Frieden symbolisiert. Die Hoffnung war dahin.  Dann, im selben Jahr, der Mauerbau. All das stimmte mich nachdenklich. Nach und nach erschloss sich mir die historische Tragweite der Ereignisse und ich begann, mich mehr für das Zeitgeschehen zu interessieren. Zu meinem Wissensdurst gesellte sich meine Leidenschaft für das Schreiben, und mir wurde klar, dass traurige und dramatische Erfahrungen ebenso zum Leben gehören  wie Glück und Erfüllung. Deshalb schreibe ich heute die Geschichten von Menschen auf, die beide Seiten kennen und ehrlich davon erzählen.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert